Page 8 - Saarländisches Ärzteblatt, November-Ausgabe 2025
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A MMER                  AUS DER ÄR Z TEK AMMER





     TEK   Konflikte der „Ärztekammer Saar“ mit der             durch den Krieg verursachten Zusammenbruchs des knapp-

     Z     Regierung und den Krankenkassen                      schaftlichen  Leistungssystems,  trotz  laufender  enormer  Zu -
     Ä R   Den Anfang der Auseinandersetzungen machte 1946 dabei   schüsse der Landeskasse, noch längst nicht behoben werden
                                                                konnten.“ Dieses Zitat zeigt ganz deutlich,  dass bei dieser
           der  Anspruch  der  Saarknappschaft,  der  die  von  der  „Ärzte-  Argumentation das Wohl des Patienten und die freie Arztwahl
           kammer  Saar“  geforderte  freie  Niederlassung  für  alle  Ärzte   nicht  im Mittelpunkt standen  sondern die  „lebenswichtige
           des  Saarlandes  aus  finanziellem  Eigeninteresse  der  Knapp­  Kohleförderung“ und die angeblich drohende „unausbleibli-
           schaft in Frage stellte. Die Saarknappschaft hatte dabei ein   che finanzielle Mehrbelastung der Knappschaft“.
           hohes Machtpotential, da immerhin ein Drittel aller Ver-  Auch innerhalb der Ärzteschaft kam es zu einem erbitterten
           sicherten des Saarlandes bei dieser Krankenkasse versichert   Machtkampf,  da  die  freie  Arztwahl  und  die  freie  Nieder-
           waren.  Unterstützt  wurde  die  Saarknappschaft  bei  ihren   lassung von den Knappschaftsärzten aus eigenem finanziel-
           Forderungen  vom  Direktor  für  „Arbeit  und  Wohlfahrt“  lem  Interesse  ebenfalls  abgelehnt  wurden.  Hinzu  kam  das
           (Richard Kirn), der für die Durchsetzung der Ziele der  Problem  der  Entnazifizierung  der  Ärzteschaft,  die  unter  der
           Saarknappschaft  sogar  die  von  der  „Ärztekammer  Saar“  (in   Mitarbeit  der  „Ärztekammer  Saar“  durchgeführt  werden
           Abstimmung mit der französischen Militärregierung und dem   sollte.
           Regierungspräsidenten) am 24.12.1945 erlassene „Nieder-  Der  Ärztekammervorsitzende  stand  dabei  zunehmend  von
           lassungsordnung für Ärzte“ und die „Richtlinien für die   allen Seiten im Kreuzfeuer der Kritik, da er sich auch weiter-
           Anstellung von Ober- und Assistenzärzten an Krankenhäusern   hin  für  die  Interessen  aller  Ärzte  und  Zahnärzte  des
           und Heilanstalten“ als ungültig erklären lassen wollte. Zu die-  Saarlandes und damit für eine freie Niederlassung und eine
           sem Zweck ließ Kirn ein juristisches „Gutachten“ erstellen,  freie Arztwahl einsetzte. Diese Situation wurde dann noch
           das die Gültigkeit der beiden genannten Verordnungen in   durch  die  gesetzlich  definierte  Ausdehnung  der  Sozialver­
           Frage stellen sollte. In seiner Begründung dafür bezog er sich   sicherungspflicht  und  durch  die  Vereinheitlichung  und  Neu­
           auf  die  Bestimmungen  des  §  368  der  RVO,  wonach  der  organisation der Sozialversicherung Ende 1947 verschärft, da
           Reichsarbeitsminister  derartige  Verordnungen  zu  erlassen   durch diese die Privatumsätze in den Praxen erheblich san-
           hatte. Kirn störte sich nicht daran, dass diese Bestimmungen   ken  und  die  wirtschaftliche  Situation  der  niedergelassenen
           aus der Zeit eines totalitären Staates stammten.     Ärzte  und  Zahnärzte  damit  sehr  belastet  wurde.  Durch  die
           Welche  Wertigkeit  Kirn  dem  Selbstbestimmungsrecht  der  Schaffung  einer  zentralen  Einheitskrankenversicherung
           Ärzte einräumte, zeigt ein Zitat aus dem Schreiben, das die-  innerhalb der LVA des Saarlandes, deren Vorstände und
           ser am 21.01.1947 an die Verwaltungskommission des   Direktoren von der Regierung des Saarlandes in Abstimmung
           Saarlandes  richtete  und  das  auch  die  Argumentation  der  mit der französischen Militärregierung ernannt wurden,
           Saarknappschaft  enthielt:  „In  sachlicher  Beziehung  haben   stand der „Ärztekammer Saar“ neben der Saarknappschaft
           sich beide Verordnungen im Bezug auf das notwendige gute   mit  der  LVA  des  Saarlandes  eine  mächtige  Einheitskran-
           Verhältnis  zwischen  Ärztekammer  und  Saarknappschaft  als   kenkasse in den Vertragsverhandlungen für die Aushandlung
           wenig  glückliche  Maßnahmen  erwiesen.  Sie  stellten  in  ihrer  der  Kassenhonorare  gegenüber.  Mit  diesen  gesetzlichen
           praktischen Auswirkung einen Einbruch in das in der  Regelungen innerhalb der Sozialversicherung des Saarlandes
           Knappschaftsversicherung bestehende bewährte geschlos-  wurden die niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte förmlich
           sene System der Kursprengel mit eigenen Knappschaftsärzten   zu „Angestellten“ der Krankenkassen.
           dar, an dessen Stelle das System der sogenannten „freien   Als 1947 dann die Regierung des Saarlandes gemeinsam mit
           Arztwahl“,  oder  treffender  gesagt,  das  System  der  Massen­  der französischen Militärregierung nach dem wirtschaftli-
           behandlung  von  Krankenscheinpatienten  treten  soll.  Hier­  chen Anschluss des Saarlandes an Frankreich und nach der
           gegen wendet sich die Saarknappschaft unter Berufung auf   Einführung  des  Franc  die  Beibehaltung  des  deutschen
           überlieferte Einrichtungen, auf das gesetzlich zugesicherte   Sachleistungssystems innerhalb  der  Krankenversicherung
           Selbstbestimmungsrecht,  auf  die  ruinöse  finanzielle  Auswir­  des  Saarlandes  beschloss,  wurde  die  „Ärztekammer  Saar“
           kung eines solchen Systems und damit auf das Wohl der gro-  hingegen von den Ärzten beauftragt, eine eigene saarländi-
           ßen Mehrheit der Versicherten und schließlich auf das Wohl   sche  Gebührenordnung  zu  entwickeln,  die  sich  an  der  loth-
           der Allgemeinheit. Sie argumentiert hierzu folgendermaßen:   ringischen „Gebührenordnung“ und am Kosten erstattungs-
           Die  ärztliche  Betreuung  durch  jeden  x­beliebigen,  berufs-  system  innerhalb  der  französischen  Krankenversicherung
           fremden Arzt auf Grund eines jederzeit erhältlichen Kran-  orientieren sollte. Ziel war es, das französische System der
           kenscheines  muss  jede  sorgfältige, individuelle  Behandlung   Kostenerstattung  als  Garant  für  die  Erhaltung  der  Frei­
           durch erfahrene betriebsvertraute Ärzte illusorisch machen.  beruflichkeit, für eine angemessene Honorierung und für die
           Ja sie kann sehr wohl der oft epidemienhaft auftretenden  Therapiefreiheit im Interesse der Ärzte, aber auch im
           Drückebergerei im Betrieb Vorschub leisten, womit auch die   Interesse der Patienten für eine freie Arzt- und Therapiewahl,
           Interessen der Allgemeinheit, d.h. die lebenswichtige Kohle-  im Saarland einzuführen.  Um diese Ziele zu erreichen und
           förderung, in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Die   auch „kämpferisch“ durchsetzen zu können, wurde vom
    8      unausbleibliche  finanzielle  Mehrbelastung  der  Knappschaft  Vorstand  der  „Ärztekammer  Saar“  als  erste  Maßnahme  die
           wäre  für  diese  ganz  untragbar,  da  die  bitteren  Folgen  des   Gründung  einer  freien  standespolitischen  Vertretung  der

           Saarländisches Ärzteblatt     Ausgabe 11/2025
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